Geschichte schreiben

In einer mittelalterlichen Stadt wie Rothenburg ob der Tauber Geschichte zu schreiben, ist eine Herausforderung, der sich nicht jeder stellen würde.

Aber genau das ist der Antrieb von ULli und Christian Mittermeier

 

Vor allem deshalb, weil die Villa, in der Mittermeiers Alter Ego entstanden ist, selbst ein Stück ruhmreicher Rothenburger Geschichte ist, von deren historischer Substanz vor der Renovierung und dem Umbau in ein Hotel jedoch kaum noch etwas zu sehen war.

1905 als Villa des Seifen- und Parfüm-Fabrikanten August Schmieg erbaut – der in der 1840 am Bahnhof errichteten, heute leider nicht mehr existierenden Seifenfabrik die berühmte AULA-Seife herstellte – büßte ihre ursprüngliche Eleganz und ihren Jahrhundertwende-Charme durch mehrfache Umbauten und Unterteilungen in kleine Wohnungen ein, war aber immer ein Ort, der nicht zuletzt durch die gesellschaftliche Bedeutung der Fabrikantenfamilie, fest mit der Geschichte Rothenburgs verbunden ist. Soweit zur frühen Geschichte.

2017, also mehr als 100 Jahre später, erwarben Ulli und Christian Mittermeier die alte Villa, um ihr neues Leben einzuhauchen und mit dem Hybridhotelhotel Mittermeiers Alter Ego erneut Geschichte in Rothenburg zu schreiben. Statt zu historisieren und romantische Vorstellungen einer vermeintlich besseren Zeit wieder aufleben zu lassen, was im Umfeld einer weltberühmten Mittelalterstadt wie Rothenburg durchaus naheliegend war, entschieden sich die erfahrenen und weltoffenen neuen Besitzer vielmehr den fortschrittlichen Geist der damaligen Gründer, die auch schon zu ihrer Zeit der Zeit voraus waren, wieder in das historische Gebäude einziehen zu lassen und es zeitgemäß zu renovieren. Entstanden ist ein Refugium für moderne Reisende, die fern ihres Zuhauses ein Zuhause auf Zeit finden.

Als Verbeugung vor den ehemaligen Besitzern, gibt es aber demnächst doch noch eine kleine Reminiszenz, die es ins neue Hotel schaffen wird: eine handgemachte Seife nach dem Vorbild der historischen AULA-Seife. Natürlich zeitgemäß nachhaltig und ohne chemische Zusatzstoffe. Das hätte dem Seifenfabrikanten sicher gut gefallen.

Die Aula Seifenfabrik

Eine Spurensuche von Dr. Heidemarie Ertle

Die Aula Seifenfabrik war eines der ganz wenigen Unternehmen in Rothenburg ob der Tauber, dem der Wandel vom Handwerksbetrieb zu einer industriellen Fertigung gelang.

Die Geschichte des Unternehmens erstreckt sich über einen Zeitraum von knapp 140 Jahren, von der Gründung um das Jahr 1840 bis zu seiner Auflösung in den 1970er-Jahren.

Welche Entwicklungsstufen durchlief die Seifenherstellung im Allgemeinen und die Aula Seifenfabrik im Besonderen in dieser Zeit? Und welche Bedeutung kam der Seife in diesem Zeitraum zu?

Leider ist die Quellenlage zu dieser Studie äußerst bescheiden. Kaum ein halbes Jahrhundert nachdem die Aula endgültig die Tore geschlossen hatte, sind nur noch Spuren der einstigen Fabrik vorhanden. Das Gebäude wurde abgerissen und ein Firmennachlass ist nicht vorhanden.

Fast möchte man glauben, das Unternehmen löste sich im Laufe der Zeit auf wie ein Stück Seife im Wasser. Im Stadtarchiv der Stadt Rothenburg befinden sich lediglich drei Mappen zu Aula, eine Mappe mit Fotografien und zwei Mappen mit Werbematerialien und einigen wenigen Schriftstücken, anhand derer es gelingt, ein Bild der Fabrik und ihrer Produkte entstehen zu lassen.

Fast muss man glauben, es hatte doch etwas Gutes, dass die Seifenfabrik zweimal in Zahlungsschwierigkeiten geriet. Aus diesem Grund  sind im Stadtarchiv Nürnberg keinerlei Akten zum Unternehmen vorhanden.

Zum Glück kommen immer wieder Hinterlassenschaften der Aula aus Privatbesitz ans Tageslicht, wie kürzlich die Prägestempel der Seifenfabrik. So bleibt die Hoffnung, dass sich im Lauf der Zeit noch mehr Spuren finden lassen, die es erlauben, ein helleres Licht in die Unternehmensgeschichte zu bringen. Bis dahin möge die folgende Studie als Einstieg dienen.

1. Seifensieder (1840-1914)

Während Seife in ländlichen Gebieten noch bis ins 19. Jahrhundert hinein in den Haushalten selbst gesiedet wurde, entwickelte sich im städtischen Umfeld die Seifensiederei ab dem späten Mittelalter als Handwerksberuf.

Der Herstellungsprozess blieb über die Jahrhunderte hinweg gleich. In Deutschland wurde überwiegend Rindertalg als Grundrohstoff verarbeitet. Der Talg wurde durch das Ausschmelzen des Fettgewebes von Rindern gewonnen und anschließend unter Zusatz von Pottasche gesiedet. Das Ergebnis dieses Siedeprozesses war eine weiche Schmierseife. Wollte man feste Kernseife herstellen, musste Natronsalz der Seifenmasse zugefügt werden. Die Toiletten- beziehungsweise Feinseifenherstellung ging von der gleichen Grundsubstanz aus. Sie bedurfte dann allerdings eines aufwendigeren Verarbeitungsverfahrens und wurde mit Duftstoffen parfümiert.

Die Schmierseife wurde ausschließlich in der Haushaltsreinigung eingesetzt. Am meisten Verwendung fand die Kernseife. Sie diente der Textil-, Haushalts- und Körperreinigung. Die Toilettenseife galt bis ins späte 19. Jahrhundert hinein als Luxusartikel und war für weite Teile der Bevölkerung unerschwinglich. Die Verwendung der Feinseife in der Körperpflege begann in größerem Umfang erst an der Wende vom 19. zum 20. Jahrhundert.

In Rothenburg ob der Tauber wurde die Seifensiederei als Handwerk betrieben. Hiervon zeugt die  “Ordnung der Seifensieder” aus dem Jahre 1736. Seifensiedereien wurden vornehmlich als Familienbetriebe geführt. Häufig stellten Seifensieder neben Seife aus dem überflüssigen Fett Talglichter her. Diese waren bis zum Aufkommen von Petroleumleuchten eine günstige Lichtquelle. Kerzen aus Bienenwachs gaben zwar ein besseres Licht und den weitaus angenehmeren Geruch, waren aber für die meisten Menschen unerschwinglich.

 

Der Ursprung der Seifenfabrik Aula geht zurück bis in das Jahr 1840

In der Liste der gewerbetreibenden Saifensieder(!) in Rothenburg erscheint an erster Stelle Georg Klenk mit dem Datum 30. März 1839. Dieser Georg Klenk oder vielmehr Johann Georg Klenk, geboren 1811, muss als Gründer der Aula gesehen werden. Er betrieb seine Seifensiederei in der Georgengasse 5 und war nicht nur Seifensieder, sondern auch Lichterfabrikant. Johann Georg Klenks Tochter Helena heiratete den Seifensieder August Schmieg (1846-1910). Ob August Schmieg seine Seifensiederlehre in der Werkstatt von Johann Georg Klenk absolviert hatte und dann die Tochter seines Lehrherrn heiratete, ist aufgrund der Aktenlage nicht nachzuvollziehen. August Schmieg übernahm die Seifensiederei in der Georgengasse 5 und setzte den Betrieb fort.

Diese Seifensiederei war keineswegs die einzige Siederei in Rothenburg. Das Kataster nennt noch drei weitere Betriebe. Es muss jedoch offen bleiben, wie lange diese Seifensiedereien Bestand hatten. Die Tatsache jedoch, dass sich parallel mehrere Betriebe etablieren konnten, zeigt den bereits steigenden Bedarf an Seife. Tatsächlich wuchs das Hygienebewusstsein in der Bevölkerung seit den 1850er-Jahren. Dies ließ den Verbrauch an Seife steigen.

In der dritten Generation lernte schließlich Heinrich Schmieg (1883-1936) das Seifensiederhandwerk in der Georgengasse. Heinrich Schmieg wird den Wandel vom handwerklichen Kleinbetrieb zur Seifenfabrikation vollziehen.

 

Vom Handwerksbetrieb zur Fabrik

Im Verlauf des 19. Jahrhunderts gab es mehrere Impulse, die den Übergang vom Seifensiederhandwerk zur fabrikmäßigen Herstellung von Seife forcierten. Sowohl auf der Rohstoffseite als auch in der Entwicklung der Produktionstechnik hatten bedeutende Fortschritte stattgefunden.

Zunächst hatte der französische Chemiker M. E. Chevreul (1786-1889) wichtige Erkenntnisse über die Chemie der Fette gewonnen. Er wies nach, dass prinzipiell alle Öle und Fette für die Seifenherstellung eingesetzt werden konnten. Neben Rindertalg und Olivenöl wurde nun auch eine Vielzahl tropischer Öle, die der Welthandel nach Europa brachte, eingesetzt. Zudem gelang es, Pottasche und Kalilauge auf elektrolytischem Weg zu erzeugen und so in großen Mengen verfügbar zu machen. Ein wichtiger Bestandteil der Feinseife war das Seifenparfüm. Hier war es dank Vanillin gelungen, den ersten einer ganzen Reihe naturidentischer Riechstoffe künstlich zu erzeugen. Vanillin wurde ab 1874 in Holzminden industriell hergestellt.

Im Bereich der Produktionstechnik fanden zum Ende des 19. Jahrhunderts hin ebenfalls Entwicklungen statt, die den Übergang vom Handwerk zur industriellen Herstellung von Seife unterstützten. Jahrhunderte lang war die Seife auf einer Feuerstelle gesiedet worden. Mit der Verteuerung von Holz als Brennstoff wurde Ende des 19. Jahrhunderts Dampf zur Verseifung eingeführt. Durch den heißen Dampf konnte die Temperatur im Siedekessel besser reguliert werden. Die Seifenmasse kochte nicht mehr so leicht über und brannte nicht an. Außerdem rührte der einströmende Dampf die Masse im Kessel selbständig um. Dampf konnte aber auch generell zum Antrieb für Kraftmaschinen verwandt werden. Mit Dampf betriebene Schneidemaschinen und Pressen erzielten ein gleichmäßigeres Fabrikationsergebnis. Darüber hinaus wurden die bislang in der Seifenfertigung verwandten Holzformen durch robustere Eisenformen ersetzt. Aus dem Zusammenspiel dieser Entwicklungsschritte erwuchs am Ende des 19. Jahrhunderts die Seifenindustrie.

Man war aber nicht nur bemüht, die Seifenproduktion zu verbessern, sondern auch die Waschwirkung der Seife selbst zu erhöhen. Hier war die Entwicklung des Seifenpulvers eine bahnbrechende Errungenschaft. Um zu verstehen, welchen Fortschritt das Waschpulver darstellte, muss man erkennen, was es bis zu dieser Zeit hieß, Wäsche zu waschen. Das Waschen von Wäsche war eine schwere körperliche Arbeit. Die Wäsche musste eingeseift und auf einem Waschbrett gerieben werden. Danach wurde sie zweimal gekocht, ausgewrungen und dann noch zur Rasenbleiche ausgelegt.

1907 war es der Firma Henkel gelungen, mit Persil, das erste “selbständige” Waschmittel auf den Markt zu bringen. Die Wäsche musste nach dem Einweichen nur noch einmal mit Persil gekocht werden. Ohne Reiben und Schrubben wurde die Wäsche blendend weiß, duftete, war desinfiziert und verglichen mit der Behandlung der Wäsche auf dem Waschbrett geschont. Die Grundlage hierfür war die Entwicklung eines sauerstoffhaltigen Bleichmittels, Perborat, das zugleich die Rasenbleiche ersetzte.

 

Umzug in die 1905 erbaute Villa

Dies war der Entwicklungsstand, in dem sich die Seifenfabrikation befand, als Heinrich Schmieg 1908 Anna Barbara Baumann (1883-1955) heiratete. Sie war das einzige Kind von Johann Friedrich (Vitus) Baumann und seiner Frau Anna Barbara Fellner. Die Familie Baumann hatte es vorgezogen, der mittelalterlichen Enge Rothenburgs zu entfliehen. Sie bewohnten eine repräsentative Gründerzeitvilla vor den Toren der Stadt, in der Würzburger Straße 1. Die Villa war um 1905 erbaut worden.

Ob von dieser Ehe die entscheidenden Impulse für Heinrich Schmieg ausging, den Schritt vom Handwerksbetrieb zur industriellen Fertigung von Seife zu wagen, muss offen bleiben. Fest steht jedoch, dass sich Anna Schmieg mit ihrem Vermögen an der Errichtung der Seifenfabrik in Rothenburg beteiligte.

Rothenburg war zu dieser Zeit nicht der ideale Standtort für die Entwicklung eines Industriebetriebes. Bis dahin hatte es in Rothenburg überhaupt nur drei Fabriken gegeben. Bereits um die Jahrhundertwende sah die Stadt ihr Potential weniger in der industriellen Ansiedlung als vielmehr im Fremdenverkehr.

Gemeinsam erwarben Anna und Heinrich Schmieg das Gelände in der Nähe des heutigen Bahnhofes (Bahnhofstr. 23) und ließen darauf 1912 eine Seifenfabrik errichten. Die Fabrik entsprach dem Stand der Zeit mit Fabrikgebäude, freistehendem Dampfkamin, Remise, Lagerplatz und Hofraum. Das Gelände lag günstig in der Nähe der Rothenburger Bahnstation und verfügte über einen eigenen Gleisanschluss.

Die Schmiegs trugen mit der Errichtung einer Seifenfabrik einer Entwicklung Rechnung, die mit der Veränderung in der Rohstoffbasis, der Produktionstechnik und der gestiegenen Nachfrage folgerichtig war.

Aus dem Seifensiederhandwerk war an der Wende zum 20. Jahrhundert eine Industrie entstanden. So umfasste die Gesamtproduktion an Seifen im Kaiserreich zwar bereits 1895 rund 180.000 bis 200.000 Tonnen. Bis 1913 war die Menge schon auf 550.000 Tonnen pro Jahr angewachsen, davon 150.000 Tonnen als Schmierseife und 250.000 Tonnen Kernseife. Seifenpulver fiel schon mit 100.000 Tonnen ins Gewicht und den kleinsten Teil umfasste die Feinseife mit rund 50.000 Tonnen.

 

Der Erste Weltkrieg

Von welcher Dauer genau und wie umfangreich die Produktion der Aula Seifenfabrik am Vorabend des Ersten Weltkrieges war, lässt sich heute nicht mehr nachvollziehen. Mit Beginn des Ersten Weltkrieges im September 1914 brach die Versorgung der Industrie mit Fetten zusammen. Fette und Seifen wurden ab 1915 rationiert. Über den internationalen Handel konnten nur noch geringe Mengen an Ölen und Fetten für die Seifenindustrie bezogen werden. Lediglich die größten Firmen fanden bei der Zuteilung Berücksichtigung. Von den ehemals 1600 Seifenfabriken, die am Ende der Kaiserzeit bestanden hatten, produzierten nach 1914 noch 180 Fabriken weiter und davon konnten nur 65 dauerhaft die Produktion aufrecht erhalten. Ob die Rothenburger Seifenfabrik dazu zählte, darüber fanden sich keine Hinweise.

Der Erste Weltkrieg hob eine ganze Welt aus den Angeln. Ein ganzes Zeitalter ging zu Ende.

Chemielabor der Seifenfabrik AULA von Theodor August Schmieg

Quelle: Stadtarchiv Rothenburg

Seifensiederfabrik (1918-1945)

Der Erste Weltkrieg war zu Ende – Zeit für einen Neuanfang. Heinrich Schmieg zog mit seiner Familie in die Villa der Schwiegereltern in die Würzburger Str. 1. Das Haus in der Georgengasse 5, die alte Seifensiederei, wurde an August Reingruber verkauft, der dort ein Seifengeschäft einrichtete.

Unruhige Zeiten brachen an. Die wirtschaftliche Entwicklung in der Weimarer Republik war von Krisen geschüttelt. Inflation und Weltwirtschaftskrise waren die – im negativen Sinne – herausragenden Ereignisse, zwischen denen es kurze Perioden der wirtschaftlichen Erholung gab.

1920 wurde die Zwangsbewirtschaftung der Seifenindustrie aufgehoben. Für die Rothenburger Seifenfabrik war dies die Chance für einen Neubeginn: Am 1. Juli 1920 wurde der Gesellschaftsvertrag für das neue Unternehmen geschlossen. Drei Gesellschafter hatten sich zur Neugründung zusammen gefunden, um dem Unternehmen eine stabile Startposition zu geben. Heinrich Schmieg und Friedrich Scheib, Kaufmann aus Nürnberg, waren jeweils mit einer Einlage von 100.000 Mark vertreten, Hans Kreiselmeier aus Rothenburg mit einer Einlage von 50.000 Mark. Die Gesellschaft hatte ihren Sitz in Nürnberg, der Fabrikbetrieb war aber nach wie vor in Rothenburg. Das neu gegründete Unternehmen führte den Namen “Rothenburger Seifen- und Ölfabriken Schmieg & Scheib GmbH”, die Handelsmarke blieb weiterhin Aula.

Mit der Aufhebung der Regulierung der Rohstoffversorgung für die Seifenindustrie herrschte zunächst eine günstige Ausgangslage. Der Nachholbedarf war groß. Während des Krieges hatte Seifenmangel geherrscht und die Produkte, die zu haben waren, waren von bescheidener Qualität. Wie in der Vorkriegszeit, kamen ein hoher Prozentsatz der Öle und Fette für die Seifenindustrie aus dem Ausland: 1925 waren es 80%. Dies hatte zur Folge, dass die Seifenpreise sehr stark von der Devisenentwicklung abhängig waren. Als nun die Weimarer Republik 1923 in die Inflation schlitterte bedeutet dies, dass zum einen die Kosten für Öle und Fette praktisch unkalkulierbar wurden. Zum anderen brach die Nachfrage inflationsbedingt massiv ein. Die Unternehmen, die es schafften, aus dieser Entwicklung unbeschadet herauszukommen, sahen sich bereits Mitte der 1920er Jahre wieder, wie auch schon vor dem Ersten Weltkrieg, mit einer Überproduktion in der Seifenindustrie konfrontiert. Sinkende Verkaufspreise waren die Folge.

 

Große Unternehmen bestimmten den Markt

Unilever und Henkel waren 1930 die absoluten Marktführer. Henkel hatte eine Reihe neuer Produkte auf den Markt gebracht und beherrschte nun mit Sil, Persil und Henko den kompletten Prozess des Wäschewaschens. Henkel allein verbrauchte in dieser Zeit 45% der in Deutschland für industrielle Zwecke zur Verfügung stehenden Fette. 80% der Seifenpulverproduktion kam von Henkel. Der Konkurrenzkampf war hart und oftmals half nur die Verbundenheit der Kunden mit der Seifenfabrik vor Ort, um gegen die Konzerne bestehen zu können. Eine weitere Möglichkeit, dem harten Wettbewerb in der Seifenindustrie standzuhalten, war Diversifikation. Um das unternehmerische Risiko auf mehrere Standbeine zu verlagern, bot sich etwa ein Einstieg in den Bereich der chemischen Industrie an.

Die Rothenburger Seifenfabrik Schmieg & Scheib schaffte es zunächst noch, die Inflationszeit und den harten Konkurrenzkampf danach zu überstehen. 1926 hatte eine Veränderung in der Gesellschafterstruktur stattgefunden. Heinrich Schmieg erhöhte seine Stammkapitaleinlagen um 50.000 Mark, dafür verringerte Friedrich Scheib seine Einlagen um denselben Betrag. Heinrich Schmieg verfügte nun über die Unternehmensmehrheit.

Geschwächt durch die Inflation und durch den anhaltenden Preiskampf in der Seifenindustrie traf die Weltwirtschaftskrise 1929 das Unternehmen hart. Am 17. Juni 1930 stellte Schmieg & Scheib die Zahlungen ein und reichte wenige Tage später den Antrag zur Abwendung des Konkurses ein. Das Konkursgericht in Nürnberg stimmte der Durchführung eines Liquidationsvergleichsverfahrens zu. Dieses Verfahren zielte auf die Erhaltung des Unternehmens und galt als sinnvoll, wenn die Zahlung einer Mindestquote an die Gläubiger erreichbar schien.

Im September 1930 war der Zwangsvergleich bestätigt. Das Vergleichsverfahren wurde aufgehoben und Schmieg & Scheib als Gesellschaft aufgelöst. Die Aktivitäten von Schmieg & Scheib in Rothenburg übernahm die neu gegründete AULA G.m.b.H.

 

Schmieg & Scheib wird AULA

Der Gesellschaftervertrag zur Gründung der Aula G.m.b.H. war am 10. Februar 1931 geschlossen worden. Wieder waren drei Gesellschafter an der Gründung des Unternehmens beteiligt: Hans Möschel und Lucian Goll, beide aus Nürnberg mit jeweils einer Kapitaleinlage von 10.000, Reichsmark und Anna Schmieg. Sie war ebenfalls mit einem Drittel am Unternehmen beteiligt. Ihre Bareinlage betrug allerdings nur 5.000 Reichsmark, da sie bereits Büro-, Laboratoriums- und Einrichtungsgegenstände im Wert von 5.000 Reichsmark in die Firma eingebracht hatte.

Lucian Goll veräußerte noch im gleichen Jahr seine Anteile an der Aula an Ernst Möschel. In dem von den drei Teilhabern am 2. September 1931 geschlossenen Vertrag wurde das Gehalt der Geschäftsführer festgelegt. Die Vereinbarung sah vor, dass den Geschäftsführern eine Vergütung von je 800 Reichsmark zustand. Heinrich Schmieg erhielt jedoch nur ein Gehalt von 200 Reichsmark, da an Anna Schmieg 600 Reichsmark gezahlt wurden.

Die Produktpalette der Firma teilte sich in drei Sparten: die Seifenfabrik, die Parfümeriefabrik und die chemische Fabrik. Der Warenprospekt der Aula G.m.b.H. von 1932 listet insgesamt 49 Produkte auf. Hierzu zählten verschiedene Kernseifen, Schmierseifen, Feinseifen und Waschmittel. Darüber hinaus fanden sich Artikel für Küche und Haus auf der Liste, von Schuhcreme über Tafelspeiseöl bis Bohnerwachs. Unter der Kategorie Öle und Fette wurden unter anderem Lederfett, Maschinenöl und Autoöl aufgeführt.

 

Hitlers Machtergreifung 1933 stellte die Wirtschaft vor ganz neue Herausforderungen

Das Streben nach Autarkie in der nationalsozialistischen Wirtschaftspolitik führte schon weit vor Beginn des Zweiten Weltkrieges in der Seifenfabrikation zu ernsthaften Problemen. Die Seifenindustrie war nach wie vor in hohem Maße auf die Einfuhr ausländischer Rohstoffe angewiesen. Aus Amerika und Australien etwa wurden große Mengen geschmolzenen Talgs importiert. Die hohe Abhängigkeit Deutschlands von Fett- und Ölimporten in Verbindung mit dem herrschenden Devisenmangel, führte bereits 1933 zur Kontingentierung der Fettrohstoffe. Darüber hinaus musste der Fettsäuregehalt der Kernseife von 60-65% auf 48-52% herabgesetzt werden. Für die Seifenindustrie galt eine Errichtungs- und Erweiterungssperre.

Schon 1933 war die ‘Überwachungsstelle für die industrielle Fettversorgung eingerichtet worden. Diese hatte die Aufgabe, die Verteilung des begrenzten Fettrohstoffes vorzunehmen. Um dem Fettmangel in der Seifenindustrie entgegen zu steuern, gingen Unternehmen wie Henkel auch ungewöhnliche Wege. Henkel setzte ab 1935 auf nicht kontingentierte Fette, wie Walöl, und stieg 1936 ins Walfang-Geschäft ein.

Für die Aula Seifenfabrik in Rothenburg tat sich aber ein noch viel ernsteres Problem auf. 1936 starb im Alter von nur 53 Jahren Heinrich Schmieg. Bereits im Januar war er von der Geschäftsführung zurückgetreten und starb wenige Monate später am 23. April 1936. Ob sein Sohn, Friedrich August Schmieg, jemals vorgesehen war, in die Fußstapfen des Vaters zu treten und in die Geschäftsführung der Seifenfabrik einzusteigen, wissen wir nicht. Friedrich August Schmieg zog im Jahr 1936 aus Rothenburg weg nach Frankental in die Pfalz.

Mit Beginn des Zweiten Weltkrieges am 1. September 1939 wurde die Wirtschaft im Dritten Reich endgültig auf die Bedürfnisse des Krieges umgestellt. Die ‘Überwachungsstelle für die industrielle Fettversorgung’ wurde in die ‘Reichsstelle für industrielle Fettversorgung’ (RIF) umgewandelt. Sie kontrollierte die Seifen- und Waschmittelproduktion beziehungsweise legte auch Betriebe still. Aus dem Jahr 1941 ist ein Schreiben der RIF an die Aula G.m.b.H. erhalten geblieben, überschrieben mit: “Zusätzliche Produktionsaufgabe Se 11 (Verarbeitungsgenehmigung)”. Darin wurde angeordnet, dass das Unternehmen 2,3 Tonnen pflanzliche und tierische Öle und Fette, die ihm zugewiesen wurden, in der Zeit vom 1. Juli 1941 bis 30. September 1941 zu Wasch- (Seifen-) Pulver verarbeiten sollte. Die “Zusätzliche Produktionsaufgabe” lässt vermuten, dass die Fabrik auch im Zweiten Weltkrieg wenigstens zeitweise weiterproduzieren konnte.

Bei dem schweren Angriff auf Rothenburg Ende März 1945 war die Seifenfabrik verschont geblieben. Allerdings brannte die Villa der Familie Schmieg in der Würzburger Straße bis zum ersten Stock ab. Wenige Wochen später, am 8. Mai 1945 war der Krieg zu Ende. Das Schicksal des einzigen Sohnes und Erben, Friedrich August Schmieg, blieb ungeklärt; er gilt als in Stalingrad vermisst.

Die große Produktpalette der AULA-Seifenfabrik in den 1960er-Jahren

Quelle: Stadtarchiv Rothenburg

Die Aula (1945-1975)

Die Ausgangslage in Deutschland war in der unmittelbaren Nachkriegszeit desolat. Es herrschte Stillstand. Während in der Kriegszeit noch mit Hilfe der zentralen Rohstoffversorgung ein Minimum an Produktionsvolumen in der Seifenindustrie aufrecht erhalten blieb, war nun die Rohstoffversorgung komplett zusammengebrochen. Zudem fehlten Geldmittel, um Fette und Öle im Ausland zu kaufen. Der inländische Markt reichte bei Weitem nicht aus, die Industrie zu versorgen. Erst Ende 1947 konnten erstmals wieder Rohstoffe in größeren Mengen importiert werden.

Wie es zu dieser Zeit in der Aula Seifenfabrik in Rothenburg aussah veranschaulicht ein Zeitungsartikel der Fränkischen Landeszeitung vom 25. Februar 1948. Der darin beschriebene Rundgang durch die Fabrik vermittelt einen seltenen Einblick in die Produktionsanlage. Die Besichtigung begann im “Frauenarbeitssaal”, in dem sich die automatischen Abfüll- und Wiegemaschinen für Waschpulver und Zusatzwaschmittel befanden. Hier konnten pro Minute 25 Pakete Waschpulver verpackt werden. Das Kessel- und Maschinenhaus war der Grundpfeiler der Seifenfabrik. Dampfmaschinen setzten das Werk in Betrieb. Der nötige Strom wurde von einem Generator erzeugt. Das Kernstück der Seifenfabrik war die Siederei, in der sich die riesigen Siedekessel befanden. In den zwölf Siedekesseln, mit einem Fassungsvermögen von 5 Tonnen bis hin zum größten Kessel mit 65 Tonnen, erfolgte die Seifenherstellung. Zum Betrieb der Anlage, die elektrisch gesteuert wurde, waren nur wenige Männer unter Leitung eines Siedemeisters nötig. Die Rohstoffversorgung des Werkes erfolgte über Kesselwagen, deren Inhalt in die unterirdischen Tanks der Fabrik gefüllt wurden. Verwendet wurden Leinöl und Sojaöl und früher, wie es im Artikel heißt, Erdnuss-, Kokos- und Palmkernöl sowie Olivenöl und Rindertalg. Die Rohstoffsituation wurde wie folgt beschrieben: “Alle diese Rohstoffe aber, die schon im Frieden bis zu 70 Prozent aus dem Ausland, vor allem aus Afrika, Amerika und Indien, importiert werden mussten, sind heute leider sehr rar”. Die jeweilige Seifenmasse, Kernseife oder Feinseife, erhielt durch eine automatische Doppelpresse die entsprechende Prägung. Das Werk verfügte über eine eigene Maschine zur Kistenherstellung. Hier hinein wurden die Seifen verpackt und versandt.

 

Der wirtschaftliche Aufschwung 

Mit der Währungsreform im Juni 1948 und der Einführung der Deutschen Mark anstelle der Reichsmark in der Westzone begann ein langanhaltender Wirtschaftsaufschwung.

In der Folgezeit verbesserte sich die Rohstoffversorgung in der Seifenindustrie durch die erneute Einbindung der Bundesrepublik in den Welthandel. Bereits 1950 kam es schon zu Überkapazitäten in der Feinseifenindustrie. Ein drastischer Preisverfall zwischen 1951 und 1954 von 36% war die Folge. In diesem Zeitraum gaben 235 Seifenhersteller ihren Betrieb auf.

Mit der Verknappung der Fettversorgung bereits vor dem Zweiten Weltkrieg hatte ein Prozess begonnen, Körperreinigungsmittel auf synthetischer Basis herzustellen. Diese seifenfreien Hautreinigungsmittel, die zudem hautfreundlicher waren als die herkömmliche Seife, begannen ab den 1950er-Jahren den Markt zu erobern.

Im Jahre 1955 starben zwei der Gründungsmitglieder der Aula G.m.b.H. von 1931: Anna Schmieg und wenige Tage später Hans Möschel. Da Anna Schmiegs Sohn und Erbe weiterhin in Stalingrad vermisst war, übernahm ihr Testamentsvollstrecker Dr. Hans Kreiselmeier die Anteile und verkaufte sie an die verbliebenen Teilhaber der Aula. Die Unternehmensanteile von Hans Möschel gingen nach dessen Tod auf seine Erben über.

Die Aula stellte auch in den folgenden Jahren seifenbasierte Reinigungsmittel her. Die Fotografie eines Werbeschaufensters der Aula aus dem Jahr 1960 zeigt einen Ausschnitt der Produktpalette des Unternehmens. Das Angebot reichte von Aula Seife über Aula Shampoon mit Haarglanz, Aula Zahnpaste und die Aula eigene Waschmittelmarke Orisin, ein  – wie es auf der Verpackung hieß – „selbstständiges Waschmittel“.

 

Die 1960er-Jahre

Im Jahr 1960 produzierten in der Bundesrepublik noch etwa 100 bis 120 Firmen Seife und Waschmittel, wobei zehn Großbetriebe 80% der Gesamtproduktion für sich verbuchen konnten. Die Produktion von Feinseifen wurde zunehmend von einigen wenigen Herstellern übernommen. Zu den meistverkauften Seifen 1965 zählten “Lux”, “Palmolive”, “Fa” und “Rexona”. In diesem Jahr betrug die Zahl der Seifenhersteller gerade mal noch 3% der Hersteller aus dem Jahr 1875.

Mit dem Nachlassen der Konjunktur – die Bundesrepublik hatte bis 1966 eine Zeit des ununterbrochenen Aufschwungs erlebt – schien auch die Zeit der Seifenfabrikation in Deutschland zu Ende zu gehen. Seit den 1970er-Jahren gingen die Verkaufszahlen stetig zurück. Anstelle der Kernseife wurde in der Körperpflege nur noch Feinseife beziehungsweise die neu entwickelten Hautreinigungsmittel verwendet. In der Textilwäsche war Kernseife durch Waschpulver abgelöst worden und in der Haushaltsreinigung ersetzten spezielle Reinigungsmittel die Schmierseife. Die Nachfolgeprodukte basierten auf synthetischen Waschrohstoffen und nicht mehr auf gesiedeter Seife.

 

Das Ende einer Ära 

Mit dem Niedergang der Seifenindustrie in Deutschland ging auch die Zeit für die Aula Seifenfabrik in Rothenburg ihrem Ende entgegen. Obwohl die Preisliste der Aula von 1969 ein breites Angebot mit 114 Produkten vorwies und vom Allzweckreiniger über Tanzsaalglätte bis Zahnpasta scheinbar alle Kundenwünsche erfüllte, waren die klassischen auf Seife basierten Produkte der Aula nicht mehr zeitgemäß.

Am 15. Februar 1972 beschloss die Gesellschafterversammlung die Auflösung der Aula GmbH. 1974 wurde das Konkursverfahren über das Vermögen der Firma eröffnet. Im Februar 1975 war die Aula Seifenfabrik erloschen.

Schon mal in einem echten Stück Rothenburger Geschichte gewohnt?